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Unsere Seag’schicht’n

Märchen und Momente, Mystik und Magie

Geschichte oder Geschichten? Traum oder Wirklichkeit? Kaum merklich verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion. Es raunt der Kuckuck, es flüstert die Zirbe, es gurgelt der kleine Bach. Und alle erzählen Erlebtes und Fantastisches. Rund um den Wolfsgrubner See.

Kleine Füße, schöne Welt

Wenn die Füße das ganze Jahr über danach schreien, barfuß sein zu dürfen, dann jubeln sie umso lauter, wenn sie das erste Mal wieder das sattgrüne Gras an ihren Sohlen kitzeln spüren. Wie sehr hatten sie diese Halme vermisst, die weiche Walderde und die unebenen Steine! So wie dieser Boden, ja, so war auch das Leben: manchmal lustig und aufregend, ein anderes Mal angenehm und zum Sich-fallen-Lassen oder holprig und herausfordernd.

Die kleinen Füße, die sich an diesem Tag aus ihren hellrosa Söckchen befreiten, waren besonders aufgeregt, die warme Jahreszeit am Wolfsgrubener See zu begrüßen. Die zehn Zehen wackelten aufgeregt in alle Richtungen und sogen die frische Rittner Luft auf. Hach, wie gut das doch tat! Es war ein langer Winter gewesen, ein kalter und rauer. Eingepfercht in dicke Wollsocken und klobige Winterstiefel ließ es sich nicht so gut träumen wie hier draußen in der Natur. „Hallo, Welt!“, riefen sie vergnüglich. „Na, ihr kleinen Füße!?“, antwortete der See, der prinzipiell immer schnell eine Antwort parat hatte, „Lust, mal den großen Zeh ins Wasser zu strecken?“ „Bist du nicht noch bitterkalt?“, wollten die Füße, die sich gerade erst an das helle Sonnenlicht gewöhnt hatten, schüchtern wissen. „Erfrischend bin ich sicherlich, aber herrlich!“, lachte der See. Die noch sehr blassen Füße befühlten erstmal sachte die Wiese. Sie war noch etwas feucht vom Morgentau und bewegte sich sanft unter der Berührung von Zehen, Sohle und Ballen. Mmmh, das war herrlich … „Wir brauchen noch ein kleines bisschen“, vertrösteten die kleinen Füße den See und gruben sich erstmal tiefer in die dunkelgrünen Grashalme und zwischen die gelben Blümchen, die sich ebenso über ihren Besuch freuten. „Schön, dass ihr wieder da seid!“, flüsterte die Wiese freundlich. „Ich habe euch wirklich vermisst. Es ist viel schöner, wenn ihr auf diese Weise über mich drüber spaziert, als mit euren schweren Schuhen. Die trampeln mich ganz schön platt, wisst ihr!“ Die Füße konnten das gut verstehen und wollten gleich schon mal das Barfuß-Laufen für den Sommer üben. So gingen sie erst langsam und vorsichtig, dann springend und hopsend und schließlich schnell sausend querfeldein über die Wiese. Zögernder wurden sie, als der Boden begann, steinig und uneben zu werden, denn das waren die kleinen Füße in diesem Jahr noch nicht ganz gewohnt. Trotzdem fanden sie es sehr spannend, über die Steine und Wurzeln zu klettern, die ihnen aufmunternd zujubelten: „Ihr schaffst das schon! Immer ein Schritt nach dem anderen!“ Es war ein Abenteuer, ja, richtig berauschend, die Welt unter sich zu spüren, eins zu sein mit ihr. Sie zu entdecken, zu erobern, wahrzunehmen, zu fühlen, zu sehen. „He, was ist? Kommt ihr nun oder nicht?“, hörten die kleinen Füße, die nun warmgelaufen waren, den See ungeduldig und schon etwas beleidigt rufen, weil ihm seine Freunde nicht sofort die gewohnte Aufmerksamkeit schenkten.
„Wir sind schon unterwegs!“, lachten die Füße. „Du hast uns ja auch gefehlt, du Wunderbarer!“ Und da streckten sie zuerst den einen, dann den anderen großen Zeh ins frische Nass, und auch die restlichen acht Zehen wollten sich den Spaß nicht entgehen lassen. Also tauchten die beiden Füße abwechselnd in den See hinein, hielten die Luft einer nach dem anderen an, um dann wieder an die Oberfläche zu kommen. Sie fanden die Kälte lustig und erquickend und als es ihnen nach einigen Minuten doch etwas zu kühl wurde, ruhten sie sich auf dem sonnenwarmen Felsen neben dem Ufer aus und ließen die Wassertropfen von ihrer Haut abperlen. Oh, wie wunderbar herrlich war der Sommer! Marie hatte schon so hart auf ihn gewartet. Und ihre Füße erst! Vielleicht schon nächste Woche, wenn die Sonne weiterhin so fleißig ihren Dienst leistete, ja, vielleicht würde sie dann endlich ganz eintauchen können ins herrlich klare Wasser des Wolfsgrubener Sees.