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Unsere Seag’schicht’n

Märchen und Momente, Mystik und Magie

Geschichte oder Geschichten? Traum oder Wirklichkeit? Kaum merklich verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion. Es raunt der Kuckuck, es flüstert die Zirbe, es gurgelt der kleine Bach. Und alle erzählen Erlebtes und Fantastisches. Rund um den Wolfsgrubner See.

Nebelgeister

Mit weißgrauen Klauen schien der Nebel nach den zwei Raben zu greifen, die dort am Seeufer im vom Frost bereits gebeugten Schilf hockten. Nebelschleier tanzten auch über die dunkle Wasseroberfläche, bäumten sich auf, strebten als Säule kalten Rauchs gen Himmel, um sich dann mit dessen Hellgrau zu vermischen, zu einem einzigen monotonen Schwadengehänge. „Das sind die Nebelgeister.“ erklärte Marie ihrer Puppe, die sich ein wenig ängstlich an ihre Puppenmutti kuschelte. „Aber da brauchst du dich gar nicht fürchten. Die tun einem nix. Also zumindest so lange man nicht vom Weg abkommt.“ Das Zittern in der eigenen Stimme versuchte sie so gut es ging zu unterdrücken. Aus der Ferne drang leise, ganz leise Musik mit den Nebelfetzen zu den beiden Shilhouettengestalten herüber. Vielleicht erzählte sie die Geschichte weiter, um sich abzulenken.
„Nebelgeister, das sind zierliche Wesen, die nur an solchen Tagen sichtbar werden. Die hausen tief im Wald und wagen sich nur im Schutze dichtesten Nebels bis zum Seeufer und an die nahen Häuser heran. Aber siehst du, wie sie tanzen, dort drüben!“ Zur anderen Uferseite bauschte sich eine Nebelwelle auf, wälzte sich über ein kleines, rotes Ruderboot, verschluckte es ganz und gar, bis von dem Rot nichts mehr zu sehen war.

„So geht es auch denen, die an solchen Novembertagen von den Wegen und Pfaden abkommen.“ so hatte es ihr Opa immer erzählt. Das seltsame Singen von der Lichtung her wurde lauter. „Jene, die dem Singsang der Nebelgeister folgen und ja, wie verzaubert den Stimmen in den Wald hinein folgen, die packen sie dann an den Händen und tanzen mit ihnen einen Reigen, bis ihnen ganz schwindlig wird und sie schmiegen sich an sie, bis sie die Hand vor Augen nicht mehr sehen können. Sie nehmen sie mit, hinfort, in ihr Welt aus Wattewolken, grauen Türmen und Schwadenschleiern.“
Marie fröstelte es in den Zehen. Feuchte Luft bohrte sich durch jede Masche ihrer dicken Strickjacke und die Schuhe waren nun mal auch noch nicht die winterfesten. Sie trat von einem Bein aufs andere. Ein wenig, um sich aufzuwärmen, ein wenig, vor Aufregung. Wie lange sollte sie jetzt noch hier stehen. „Ich hole schnell das Auto, warte hier“ hatte ihre Mama gesagt, bevor sie im feuchten Grau verschwand. Doch das war schon Ewigkeiten her! Ja, wie lange eigentlich? Vielleicht war sie vom Weg abgekommen, war der Musik der Nebelgeister gefolgt. Marie bekam es mit der Angst zu tun. Aber wer wird so eine dumme Geschichte schon glauben! Der Opa hatte ja schon immer Ammenmärchen erzählt. Nein, Nebelgeister, sowas Dummes aber auch. Das hatte er doch nur erzählt, damit Marie auf der Hauptstraße blieb und nicht im Dämmerlicht bei so schlechter Sicht auf ihre Lieblings-Abkürzung durch den Wald zurückgriff.

Du lieber Himmel, was war das! Dort, in der Ferne, da leuchteten zwei grelle Augen durch die zähweiße Nebelsuppe! Marie schlotterten die Knie, sie packte ihre Puppe, bis ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. Sie war starr vor Angst, konnte ihren Blick jedoch nicht abwenden, von dem, was da langsam auf sie zukroch. „Der Opa hatte recht!“ schrie ihr kindliches Gehirn scheinbar ohrenbetäubend laut. Und da. Da wurde auch der Singsang lauter. Die Atemwolken hatten aufgehört vor Maries Augen zu fauchen. Sie hielt die Luft an. „Ein Märchen, ein Märchen, weiter nichts.“ Doch das böse gelbe Funkeln kam direkt auf sie zu. Marie wurde übel.

Da tauchte Mamas Auto hinter dem grauen Schleier hervor. Die Nebelscheinwerfer blendeten Marie urplötzlcih, dass sie die Puppe schützend vor die Augen halten musste. Aus dem Auto trat Musik. Mamas Klassik-Album. Mit einem Satz war Marie auf dem Beifahrersitz, warf ihre Puppe nach hinten und die Tür mit einer Wucht zu, dass die Mama herumfuhr. „Kind! Was hast du denn!“ erschrak sie, als sie das bleiche Gesichtchen der Kleinen bemerkte. „Ach nix, Mama, gel, Nebelgeister gibt’s ja gar nicht.“ „Nein, Marie. Man soll nicht alles glauben, was der Opa so erzählt.“

Das Auto bog um die Kurve und war alsbald vom Nebel verschluckt. Über den …binsen tanzten Nebelwölkchen einen seltsamen Reigen. Und vom anderen Ufer her, übers Wasser, drang leise, kaum vernehmbar, ein stilles Lied, vom Walde her.