DeutschItalianoEnglish
de
Jetzt buchen.
Bestpreisgarantie!

Unsere Seag’schicht’n

Märchen und Momente, Mystik und Magie

Geschichte oder Geschichten? Traum oder Wirklichkeit? Kaum merklich verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion. Es raunt der Kuckuck, es flüstert die Zirbe, es gurgelt der kleine Bach. Und alle erzählen Erlebtes und Fantastisches. Rund um den Wolfsgrubner See.

Vom Sombrero und den nassen Mariachis

An manchen Tagen geben die Träume den Takt vor. Dann wird er geändert.

Er stützt seinen Kopf auf den Besen und schaut über das Wasser, das heute nicht blau sondern grau und braun, selbst nachdenklich zwischen den Bäumen liegt. Jeden Tag kehrt Großvater das Laub und die herabgefallenen Blüten über die Terrasse, sammelt sie auf einem großen Haufen hinter dem Heuschober und sieht zu, wie die Farben ineinander versinken und einen süßlichen Dampf verteilen. Das macht er im windigen Winter, im frischen Frühling, im Sommer und wenn die Blätter im Herbst fallen sowieso.

Letzte Nacht hat er von Großmutter geträumt und wie sie damals nach Mexiko gefahren waren, denn nach Mexiko, da wollten sie beide hin und konnten nicht genau sagen weshalb. Zum See, in seiner Üppigkeit, mit den wiegenden Bäumen und den Wolkenkronen auf dem Schlern, zwischen grünlichen Libellen und zufriedenen Krautköpfen im Garten, dazu ist Mexiko wohl das absolute Gegenteil – und oft sehnt sich der Mensch nach dem Gegensätzlichen. Sie dachten an Kakteen, glimmernde Hitze in der sich niemand rühren kann, an drängende Menschenmassen auf Märkten und einen Hauch von Vergänglichkeit während überall blau-rot-gelbe Decken herumliegen. An Brüllaffen und Feuerbäume und an Maistortillas mit scharfer Sauce. Und wie sie es sich ausgemalt hatten, so fanden sie Mexiko vor. Nur ein bisschen lauter, schriller und lebendiger.

Er schaut zu Marie und den Jungs, wie sie auf dem Tretboot den See von einer Seite zur anderen bemessen, dabei kichern und herumbrüllen, als wären sie die besten Mariachis der Welt. Zwei treten ordentlich in die Pedale, als würden sie von der eigenen Schlagwelle verfolgt. Jemand von den dreien, Großvater kann nicht recht erkennen wer, denn er sieht etwas wenig, also einer von den dreien steht johlend zwischen den Sesseln und wirft die Arme so weit in die Höhe, dass er das Gleichgewicht im Boot durcheinander bringt. Alles schwankt und der See gluckst neckisch auf. Der Möchtegern-Mariachi rudert noch mit den Händen in der Luft, trällert verdutzt auf und fällt rücklings ins Wasser. Die beiden anderen protestieren, finden’s dann doch lustig und einer reicht dem unfreiwillig Badenden die Hand, hält sich selbst allerdings nicht gut genug fest und fällt mit einem verdutzten Ruck hinterher.

Großvater lacht auf und winkt mit bebendem Bauch von der Terrasse zu den drei Mariachis am Wasser oder besser im Wasser. Just in diesem Moment fährt ein Windstoß in den Blütenhaufen, wirbelt die Blüten in alle Himmelsrichtungen und vertreibt die Wolken. So, das heißt, die ganze Arbeit fängt von vorne an. Bevor Großvater das macht, huscht er noch schnell in seine Wohnung und nimmt seinen Sombrero von der Wand. Wieder draußen, schiebt er ihn sich verwegen in die Stirn, schnalzt mit der Zunge, tippt kleine Kreise auf den Boden, tanzt mit der imaginären Großmutter und dem Besen und ja, fühlt sich fast vierzig Jahre jünger. Vier kleine Enten watscheln ihrer Mutter im Gras hinterher. Drei Mariachis paddeln ans Ufer, zwei davon patschnass. Zwei zitronenweiße Schmetterlinge legen einen Flügelschlag an Geschwindigkeit zu. Eine kleine Feldmaus fühlt sich plötzlich zur schnellsten Maus vom Ritten erkoren und düst um die Ecke. Viva la vida! Ándale, ándale!