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Unsere Seag’schicht’n

Märchen und Momente, Mystik und Magie

Geschichte oder Geschichten? Traum oder Wirklichkeit? Kaum merklich verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion. Es raunt der Kuckuck, es flüstert die Zirbe, es gurgelt der kleine Bach. Und alle erzählen Erlebtes und Fantastisches. Rund um den Wolfsgrubner See.

Die Nacht vor Ferragosto

Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen. Es war an einem 14. August vor einigen, na sagen wir vielen Jahren. Ich ging runter zum alten Bootshaus, weil es ganz dringend einen neuen Anstrich benötigte. Der Abend begann schon seine dunkle Decke über den See auszubreiten und ich musste mich beeilen, damit ich noch etwas sah, mit dem Meterband, mit dem ich die Hütte abmessen wollte, um zu wissen, wie viel Farbe ich brauchte.
Na egal, ich ärgerte mich jedenfalls einigermaßen über den vielen Dreck und die Spinnweben, die sich da angesammelt hatten, das würde viel Arbeit werden. Nur an einer Stelle war die Wand eigenartigerweise blitzsauber, und ebenso seltsam war, dass die Planke dort ein wenig lose saß – und sich sogar ein wenig bewegte. Jetzt werden nicht diese Rattenviecher mein Bootshaus ruinieren, war mein erster Gedanke. Da werd ich Fallen aufstellen müssen, bevor ich die Hütte streiche. Ich wartete einen Moment und beobachtete das Ganze, vielleicht konnte ich ja rausfinden, wie ich ihnen am besten zu Leibe rücke. Die Planke bewegte sich wieder, fast rhythmisch bog sie sich heraus und wieder zurück, Kratzen oder Scharren hörte ich keines. Ein Licht erhellte plötzlich das Bootshaus und, so kam es mir vor, besonders die Stelle, die ich gerade studierte. Jetzt wird nicht noch ein Wetter kommen, ich drehte mich um und schaute in den Himmel. Mittlerweile hatte sich die übliche Sternenschar am Firmament versammelt, keine Anzeichen von Gewitter. Es knarrte, die Planke bewegte sich diesmal noch weiter heraus und ich hörte eine Art Rascheln, wie Papier. Ich klebte jetzt schon fast mit der Nase an dem Holzteil, um zu sehen, was da los war, da beleuchtete mir das gleiche Licht von vorhin die Stelle, aus der jetzt so etwas wie ein Stück Papier herausschaute. Ich hatte doch nie einen Zettel oder sowas im Bootshaus gelassen, das Büchlein vom Bootsverleih hatte ich immer bei mir. Vorsichtig zog ich das aufgerollte Papier aus dem Holz, das war ein Pergament, und es ging ganz leicht, wie von selbst, oder ging es sogar von selbst? Ebenso einfach löste sich das Band, das um die Pergamentrolle gewickelt war und das Pergament rollte sich auf, oder rollte ich es auf? Finster war es schon, doch ich konnte das Pergament ganz ohne Probleme lesen, wie bei den neumodernen Handys, die selber leuchten, weißt du?
„Wolfsgruben am See, in der Nacht vor Ferragosto im Jahre 1881, hier sollst du nun ruhen für ewig, bis dass dich einer befreien möge, in derselben Nacht, die dem Himmelswohle der heiligen Maria gewidmet. Aber viele Jahre und Jahrzehnte wirst du im Verborgenen bleiben. Dass dich einer retten möge, das sei dir nicht vergönnt, doch werde ich altes Stück Pergament gelesen, dann sei es.“
Ich wollte das Pergament wieder zusammenrollen, weil mir das jetzt doch nicht mehr ganz geheuer war. Das Papier blieb aber stocksteif wie ein Besen und wollte einfach nicht nachgeben.
Aus dem Augenwinkel sah ich ein kleines Licht aus den Tiefen des Sees emporsteigen und wie gebannt zwang mich etwas, es anzustarren – ich kann dir nicht sagen, was das war, es war so stark, dass ich mich nicht wehren konnte. Das Licht wurde immer größer und drängte immer mehr nach oben, bis sich eine Art alter Kahn abzeichnete, der sich, verdreckt und voller Moos und Algen, verlorener Schwimmflossen und Taucherbrillen, aber dennoch strahlend schön und leuchtend an die Wasseroberfläche drängte und dort fast unmerklich schaukelte. Eine Gestalt von wunderbarer Schönheit erhob sich aus dem Boden des Kahns, begann mit heller weiblicher Stimme eine liebliche Melodie zu singen, nahm wie selbstverständlich die Ruder auf und begann in meine Richtung zu rudern. Ich wusste ehrlich gesagt nicht, ob ich mich nun fürchten sollte, oder überhaupt konnte, denn die Melodie und die Gestalt waren dermaßen gewinnend und einnehmend, dass ich gar nicht mehr wegsehen konnte.
Auf einmal schepperte der uralte Telefonhörer am Bootshaus, den seit Jahren keiner verwendet hat und von dem ich dachte, dass er gar nicht mehr funktioniert. Ich war hin und her gerissen zwischen der hypnotisierenden Gestalt und dem blöden Geschepper des Telefons, von dem ich ehrlich gesagt nur wollte, dass es aufhört zu läuten. Also nahm ich all meine Kraft zusammen und nahm den Hörer ab, obwohl er Tonnen zu wiegen schien. „Do isch die Moi! Hearsch mi, Sepp? Die Huber-Marie isch do bei mir!!! Sie isch gonz aufgleast! Sie sog, du muasch unbeding die Rolln unschiern, sofort. I woaß net, wos sie moant, obr du woasch es, sog sie. Sie muaß morgen nach Himmelfahrt ummi, sunsch isch olls vorbei, sog sie. Es geat um Leben und Tod, na, um no viel mehr als des!“
Mir fiel der Telefonhörer aus der Hand, als hätte ich nicht mehr die Kraft ihn zu halten. Ich schaute das Pergament an, das ich noch immer in der anderen Hand hielt. Ich wollte eigentlich die schöne Gestalt begrüßen und nicht irgendein stocksteifes Papier anzünden. Aber dann hörte ich auf einmal so etwas wie eine innere Stimme in mir. Gott sei Dank, sag ich dir! Die sagte, dass ich auf der Stelle das Pergament anzünden müsste, sonst stehe die Welt nicht mehr lang und aus dem Wolfsgruben würde wieder eine echte Wolfsgrube werden, nicht mit Wölfen, weil die sind ja harmlos im Vergleich, nein, mit etwas noch viel grausigerem. Ich zog also mein Feuerzeug aus dem Hosensack und versuchte das Pergament anzuzünden. Da drang ein riesiger Windstoß, der hätte mich fast vom Steg geweht, vom Kahn in meine Richtung und die Gestalt wurde immer größer und sah plötzlich überhaupt nicht mehr schön und weiblich aus, im Gegenteil. Das willst du gar nicht wissen, wie die aussah, ein Bild des Grauens. Aber ich hatte so ein Sturmfeuerzeug dabei, so eines mit der kleinen scharfen Stichflamme. Du kannst dir vorstellen, dass mittlerweile nicht mehr nur meine innere Stimme überzeugt war, dass dieses Pergament weg musste. Ich drehte mich in den Windschatten und probierte es nochmal. Das Pergament brannte seltsamerweise wie Zunder, aber vorher begann es noch wild in meiner Hand zu zittern zu schreien wie ein kleines Kind, und die Gestalt auf dem Kahn näherte sich immer mehr und brüllte hässliche Worte, die ewige Verdammnis bedeuten. Dann war es still und das Licht versank wieder in den See, als wäre es nie dagewesen.
Marie legt den Striegel beiseite, mit dem sie ihr Lieblingshaflingerpferd, das eigentlich dem Sepp gehört, gerade blitzblank gebürstet hat, sagt dem Sepp, dass sie jetzt leider gehen muss und beschließt, dass sie künftig besser auf den Großvater hören wird, wenn er ihr von etwas abrät. Auf dem Heimweg sieht sie, dass der Abend gerade seine dunkle Decke über den See ausbreitet und Marie erinnert sich, dass sie heute auf den Kalender geschaut hat. Es ist der 14. August.