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Unsere Seag’schicht’n

Märchen und Momente, Mystik und Magie

Geschichte oder Geschichten? Traum oder Wirklichkeit? Kaum merklich verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion. Es raunt der Kuckuck, es flüstert die Zirbe, es gurgelt der kleine Bach. Und alle erzählen Erlebtes und Fantastisches. Rund um den Wolfsgrubner See.

Reif für die Insel

Behutsam, mit ganz sanftem Druck, strich sie die Butter, um ja kein Loch ins weiche Innere der Brotscheibe zu reißen. Sie strich immer vom Rand nach innen, mit schnellen, aber elegant fließenden Bewegungen. Am Teller strich sie dann ihr Messer sauber, um es dann ins Marmelade-Schüsselchen zu tauchen...
Er kannte ihre Bewegungen, sie waren ihm so vertraut, wie nichts Anderes auf dieser Welt, so glaubte er. Jeden Tag dieselben Abläufe, ihre kleinen Rituale. Er wusste auch, was jetzt folgen würde. Der Griff zum Löffel, das Einmal-Umrühren im Kaffee, das leise Pling, wenn der Löffel an der Tasse abgestreift wurde – ein lästiger Tick, das fand er schon immer -, um dann wieder seinen Ruheplatz auf der Untertasse einzunehmen. Und ihr „Mmmmh“ nach dem ersten Schluck Kaffee am Morgen.
„Mmmmh“ machte sie und setzte ihre Tasse ab. Sie sah ihm dabei zu, wie er seinen Zeigefinger mit der Zunge befeuchtete, um damit ein paar Brotkrumen vom Tisch zu picken. Eine Angewohnheit, die sie immer schon gestört hat. Irgendwie eklig, fand sie. Das hatte er aber schon immer so gemacht. Schon als sie sich damals kennengelernt hatten. Damals, im Café am Marienplatz, vor über 40 Jahren. Nur die vielen kleinen braunen Flecken, die waren damals noch nicht dort gewesen, wo sie jetzt sind, nämlich überall auf seiner Hand. Er war alt geworden, dachte sie.
Alt ist sie geworden, dachte er, als er ihr von Grau ins Weiß übergehende und langsam auch lichter werdende Haar betrachtete. Wieviele Hochzeitstage hatten sie jetzt schon erlebt? Ach ja. Den 35. feierten sie heute. An einige der Hochzeitstage, an jene in guten Zeiten, erinnerte er sich noch genau. An die Hochzeitstage in schlechten Zeiten aber, hatte er sich von vornherein nicht erinnert. „Macht nichts,“ hatte sie dann achselzuckend gesagt, „ich hab's ja auch vergessen.“ Doch einmal hatte er dann sein Geschenk und den Brief in der Kram-Schublade gefunden.
Sie bestrich ihr Brot mit Marmelade und verlor sich dabei in Gedanken. Ein gemeinsames Frühstück, mitten auf dieser entzückend winzigen Insel im Wolfsgrubner See – das war schon ein ganz besonderes Hochzeitsgeschenk. So großzügig war er doch sonst nicht. Im Gegenteil, wie oft hatte er ihren gemeinsamen Hochzeitstag schon einfach so vergessen!
35 Jahre Ehe. Eine lange Zeit. Und momentan nicht gerade ihre beste. Keine Hoch-Zeit sozusagen. Und doch feierten sie ausgerechnet die. Welch Ironie. Er liebte Wortspiele und sie hatte ein besonderes Talent dafür. Doch diesen Wortwitz behielt sie für sich.
Wenn sie nachdachte, sah man es ihr regelrecht an. Das Grübel-Gesicht, nannte er es insgeheim. Manchmal wünschte er, sie würden sich mehr mitteilen, anstatt jeder für sich in Gedanken zu schwelgen. Hatten sie sich eigentlich noch genügend zu sagen?
Sie brach das Schweigen. „Warum hast du mich dieses Jahr hierher gebracht? An unseren Urlaubsort? An unseren See? Warum sitzen wir hier?“
„Die Zeit war einfach reif.“ Sagte er. „Und wir sind es auch.“
„Wir sind was?“
„Alt. Reif.“
„Reif, ja. Reif für die Insel.“
Ein gutes Wortspiel, fand sie. Sie lächelte ihn an, so wie damals, in dem einen Café am Marienplatz. Und dann legte sie mit einer schnellen, aber elegant fließenden Bewegung ihre Hand auf seine.
Marie saß mit ihren Eltern am Frühstückstisch. Das alte Ehepaar dort, auf der kleinen Insel im See, beobachtete sie schon seit einer Weile. „Mama, was machen denn die beiden dort draußen?“ „Frühstücken, Kind, das siehst du doch.“ „Nein, ich meine, warum sprechen die denn so gar nicht miteinander?“
„Die haben sich halt ganz besonders lieb. Da versteht man sich auch ohne Worte.“
Marie nickt verständnisvoll, sieht die Mama an, presst aber die Lippen zusammen, lächelt und … sagt nichts.